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Sommer-Programm: Autopoiesis

Anknüpfend an die gerade laufende Diskussion zu “Technik als einem möglichen System der autopoetischen Artefakt-Produktion” möchte ich folgendes Sommer-Programm vorschlagen. Zu jedem Thema sind dabei ein oder mehrere Blogpost(s) möglich:

Leitfragen:
F1: Kann das AP-Konzept von M/V mit Blick auf die unten erwähnten Prüfkriterien direkt auf Technik (im obigen Sinne) angewandt werden?
F2: Kann das AP-Konzept grundlegend reformuliert werden, so daß es auf Technik anwendbar ist?
F3: Sollte das AP-Konzept fallen gelassen werden bspw. zugunsten von “Allopoiesis”? (siehe Thema 2)

Thema 1: Das Konzept der  “Autopoiesis” von Varela / Maturana   und seine mögliche Übertragbarkeit auf obiges Technik-System 

Autopoiesis-Bestimmung und -Beispiel [URL: http://koloss3.mykowi.net/index.php?option=com_content&view=article&id=246&Itemid=38]

“Das Konzept der Autopoiesis bezeichnet nach der Intention von Maturana und Varela Selbstschaffung bzw. Selbstproduktion und bezieht sich auf eine allgemeine biologische Beschreibung von Leben. Maturana und Varela subsumieren unter Autopoiesis das Organisationsprinzip alles Lebendigen und vertreten die Ansicht, dass alles Leben dahingehend autopoietisch organisiert und strukturiert ist, dass es sich als geschlossenes Netzwerk von Elementen in rekursiver Bezüglichkeit selbst hervorbringt, selbst reproduziert und selbst organisiert. Grundlegend ist demnach jedes autopoietische System ein geschlossenes, autonomes System innerhalb einer spezifischen Umwelt, mit der es keine Austauschbeziehung eingeht, sondern vielmehr im Modus der Perturbation und strukturellen Kopplung steht. Jedes autopoietische System, also auch die Zelle, ist energetisch und materiell offen und gleichzeitig operationell, organisationell und informationell geschlossen.
Die Teilung und Selbststrukturierung der Zelle vollzieht sich wie folgt:
Die eigentliche Zellteilung wird durch die Mitose (Kernteilung) eingeleitet. Hierbei ziehen sich die im Zellkern befindlichen Chromosomen, die die DNS tragen, zunächst stark zusammen, was sie unter einem guten Lichtmikroskop sichtbar macht. Jedes Chromosom besteht aus zwei Chromatiden, die am sogenannten Centromer verbunden sind. Nun wandern die Centriolen, aus Mikrotubuli gebildete Zellteilchen, an entgegen gesetzte Enden der Zelle und bauen den ‘Spindelapparat’ auf. In dessen Äquatorialplatte ordnen sich die Chromosomen an, senkrecht zu den Centriolen. Die Kernhülle ist nunmehr verschwunden. An den Centromeren setzen jetzt die Spindelfasern des Spindelapparates an und ziehen die Chromatiden eines Chromosoms zu den entgegen gesetzten Centriolen. So sind an beiden Enden der noch einen Zelle zwei identische Chromosomensätze angelangt. Neue Kernhüllen bilden sich, der Spindelapparat wird aufgelöst, und eine neue Zellwand wird gebildet, die die nun kompletten Zellkerne trennt und so aus der einen Mutterzelle zwei Tochterzellen macht, die zur gleichen Größe der Urzelle heranwachsen.”

Zu prüfende Kriterien für Autopoiesis nach M/V [aus dem Wikipedia-Artikel “Autopoiesis”, URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis]:
“Um ein autopoietisches System zu sein, muss eine Einheit die folgenden Merkmale erfüllen:

  • Sie hat erkennbare Grenzen.
  • Sie hat konstitutive Elemente und besteht aus Komponenten.
  • Sie ist ein mechanistisches System: Die Relationen zwischen den Komponenten bestimmen die Eigenschaften des Gesamtsystems.
  • Die Komponenten, die die Grenze der Einheit darstellen, tun dies als Folge der Relationen und Interaktionen zwischen ihnen.
  • Die Komponenten, die die Grenze der Einheit darstellen, werden produziert von Komponenten der Einheit selbst oder entstehen durch Transformation von Elementen, die keine Komponenten sind, durch Komponenten.
  • Alle übrigen Komponenten der Einheit werden ebenfalls so produziert oder sind anderweitig entstandene Elemente, die jedoch für die Produktion von Komponenten notwendig sind.

Maturana und Varela wollten mit diesem letzten Punkt die Tatsache betonen, dass Organismen zwar Substanzen aus der Umwelt in sich aufnehmen, diese dabei jedoch sofort in verwertbare Baustoffe umwandeln. Substanzen dagegen, die für die Selbstreproduktion des Organismus keine Bedeutung haben, werden vom Organismus sozusagen ignoriert.”

In diesem Kontext wäre auch Originalliteratur von M /V  zu prüfen.

Thema 2: Technische Produktion als Allopoiesis? 

Eine Allopoiesis-Definition aus Principia Cybernetica Web, URL: http://pespmc1.vub.ac.be/ASC/ALLOPOIESIS.html
“the process whereby an organization produces something other than the organization itself. An assembly line is an example of an allopoietic system. See autopoiesis. (Francisco Varela)

The process of producing material entities other than those required for producing them. Most industrial production processes are allopoietic: An assembly line may produce cars but not the machines used in this form of production. Even reproduction in biology is allopoietic because the offsprings are materially distinct from the parent organism and occupy different spaces. Reproduction is not self-production. The primary value of the concept of allopoiesis is that it contrasts with autopoiesis.”

Thema 3: Ist das “Technium” von Kevin Kelly ein Fall von Autopoiesis?
URL: http://www.kk.org/thetechnium/

Thema 4: Kann die Autopoiesis von Technik u.U. mit der Maschinenkonzeption von Félix Guattari (re-)formuliert werden?

Thema 5: Sollte die Produktion technischer Artefakte (auto- / allopoietisch) gekoppelt werden mit “technischer Kommunikation” (inkl. dem Prozessieren zugehöriger Formen wie Konstruktionsanweisungen / -zeichnungen, Bauplänen, Modellen, etc.)? [Hier wäre dann auch eine Verbindung herstellbar zu Technik als einem “Funktionssystem” (im Bielefelder Sinne)]

Fallbeispiel: Die Erstellung einer modellgetriebenen Service Component Architecture-(Mini-)Anwendung (von requirements-Dokumenten über BPMN-Modelle hin zu exekutierbarem Code)

Thema 6: Welche Artefakte gehören zu Technik? Das Beispiel “Architektur”

Thema 7: Technik-Autopoiesis, selbstreplizierende Maschinen und artificial life

Schlußbetrachtung im Hinblick auf die drei Leitfragen

Was ist ein kybernetisches System?

System ist ein Allerweltswort. Es ist also sinnvoll jeweils zu sagen, was gemeint ist, wenn man von einem System spricht. Die Menge der Erläuterungen kann man dan durch ein Adjektiv benennen. Ein ganz bestimmtes System bezeichne ich als kybernetisches System. L. von Bertalanffy hat eine ganz andere Sache als offenes System bezeichnet und N. Luhmann hat eine wieder ganz andere Sache als funtionales System bezeichnet. Hier erläutere ich das kybernetische System.

Als kybernetische Systeme bezeichne ich Referenzobjekte von abstrakten, inhaltslosen Abbildungen, die die geregelte Veränderung einer Entität beschreiben. Wenn ich in diesem Sinne von etwas sage, es sei ein System, drücke ich aus, dass
sich dieses Objekt unter technologischen Gesichtspunkten so verhält, dass ich es mit einem Regelkreis-Schema (Feedback) sinnvoll beschreiben kann. Ein System hat also sekundäre Energiekreise, die Schalter in relativ primären Energiekreisen
steuern (Verstärker-Prinzp: Relais, Transistor usw). Die Stellungen der Schalter (System-Variable) bezeichne ich als Systemzustand. In diesem Sinne von einem System zu sprechen, macht nur Sinn, wenn beide (!) Energieflüsse genannt werden (können).

Das Standardbeispiel ist die thermostatengeregelte Heizung. Die primäre Energie ist die Wärme, die durch die Verbennung von Oel in die Heizkörper fliesst. Die sekundäre Energie ist ein elektrisches Signal, das vom Thermometer durch den
Thermostaten zum Ventil der Oelleitung fliesst. Funktional gesehen wird mit der Heizung der Sollwert der Raumtemperatur geregelt. Technisch gesehen hat der Regelkreis einen Eigenwert von einer bestimmten Temperatur, das Sollwert-Einstellgerät ist die Anzeige des Eigenwertes.

Das System ist durch die konstruktive Verknüpfung dieser beiden Energiekreise abstrakt bestimmt. Wenn der Termometer eine bestimmte Temperatur hat, fliesst ein Signal zum Oelventil und entsprechend dem Durchlass wird mehr oder wenoger geheizt, wodurch sich die Temperatur des Thermometers verändert. Diese abstrakte Systembeschreibung kann sehr verschiedene Konstruktionen wiedergeben. Aber jede Heizung muss als Artefakt materiell vorliegen, damit geheizt werden kann. Die Beschreibung heizt nicht. Damit eine Beschreibung ein – kybernetisches – System beschreibt, muss sie mindestens zwei Energiekreise beschreiben. Es gibt kybernetische Syteme mit sehr vielen Variablen und Energiekreisen.

Die Energiekreise bilden die operative Grenze des Systems. Als Operationen werden in der Kybernetik die Veränderung von Systemvariablen bezeichnet. Im Beispiel der Heizung sind die Variablen, die den Systemzustand bestimmen, die Temeratur des Thermometers und die Oeffnung des Oel-Ventils. Die Variablen und mithin der Systemzustand verändern sich in der Zeit abhängig vom jeweiligen Systemzustand. Wenn die Temeratur zu hoch ist, wird eine bestimmte Zeit später des Ventil geschlossen, worauf eine bestimmte Zeit später die Temperatur tiefer ist, worauf eine bestimmte Zeit später das Ventil geöffnet wird, usw.

Kybernetische Systeme sind das Resultat einer spezifischen Beobachtung durch die die Grenzen des Systems festgelegt werden. Kybernetisch beobachte ich das System als operational geschlossen. Ich lege fest, welche Variablen ich beobachte
und durch welche Operationen die Variablen verändert werden. Alles, was ich nicht beobachte, bezeichne ich als Umwelt des Systems. Die Umwelt interessiert mich kybernetisch nicht. Natürlich kann ich jederzeit weitere Variablen in die Beobachtung einbeziehen und so das System erweitern. Dann habe ich aber ein neues System, bei welchem wiederum die Umwelt nicht interessiert. Der Beobachter legt fest, welches System er beobachtet. Es gibt – in der Kybernetik (anders als bei anderen Systemtheorien) – kein System, das dem Beobachter sagt, was er zu beobachten hat.

Die sogenannte Turing-Maschine

Als “Turing-Maschine” wird gemeinhin ein von A.Turing erfundener “Formalismus” bezeichnet, mit welchem sich jeder Algorithmus quasi konstruktiv – als Folge von Operationen – beschreiben lässt. A.Turing publizierte den Formalismus in einem Artikel “On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem”, wo er selbst den Ausdruck “automatisches Maschine” verwendet. Der Ausdruck “Turing-Maschine” wurde 1937 zuerst von A. Church in Journal of Symbolic Logic verwendet.

Die Turing-Maschine ist keine Maschine, noch nicht einmal eine Beschreibung einer Maschine, sondern ein formalsprachliche Beschreibung eines Verfahrens zur Analyse von Algorithmen. A. Turing behandelt in seinem Aufsatz ein mathematisches Problem, es geht ihm nicht um die Konstruktion einer Maschine. Er beschreibt anhand einer Pseudo-Maschine eine Klasse von Entscheidungsproblemen mit algorithmischen Lösungen, um zu zeigen, dass es Entscheidungsprobleme gibt, die sich algorithmisch nicht lösen lassen.

A. Turing beschreibt ein Verfahren in Form von elementaren Operationen, was ihn in einem Umkehrschluss dazu veranlasste – metaphorisch – von einer Maschine zu sprechen, weil “wirkliche” Maschinen in dem Sinne Operationen “verkörpern”, als ich die Maschinenzustände, die die Maschine durchläuft, als Variablenwerte sehen kann. J. Weizenbaum hat die “Turingmaschine” sehr schön dargestellt: Ein Mensch, der mit einer Rolle WC-Papier und einer Handvoll Steine spielt.

In einem für “Turingmaschinen” typischen Artikel  schreibt beispielsweise S. Betschon in der NZZ: “Der erste moderne Computer, eine universell programmierbare Maschine, fähig zur Lösung äusserst komplizierter mathematischer Probleme, wurde Ende 1936 in Betrieb genommen. … Bis heute gibt es keine, die sie an Leistung übertreffen könnte. … Die Rede ist von der Turingmaschine. … Kein Smartphone … kann die Turingmaschine übertreffen.”

Der begriffliche Wirrwarr, der eine formalsprachliche Beschreibung mit einem Smartphone so vergleicht, dass das eine das andere übertreffen kann, widerspiegelt sich in der naiven Vorstellung, wonach A. Turing das Denken beschreibt: “Turing zergliedert Denkprozesse, versucht, sie so sehr zu zerkleinern, dass sie sich nicht mehr weiter zerkleinern lassen. Er möchte zu den Grundbausteinen, den Elementarteilchen, des Denkens vordringen. Er möchte das, was im Kopf des Rechnenden vor sich geht … lückenlos und genau erfassen.” Was A. Turing tatsächlich beschreibt, ist ein Spiel, bei welchem Gegenstände bewegt werden, wie sie wohl in keinem Kopf vorkommen. Ob der Spielende dabei denkt, ist für das Spiel ganz ohne Bedeutung, was sich darin zeigt, dass der Spielprozess als mechanischer Prozess konzipiert ist.

Die sogenannte Turing-Maschine wird immer wieder bemüht, wenn gezeigt werden soll, dass “geistige Arbeit” mechanisierbar sei. S. Betschon bringt das verblüffend simpel auf den Punkt: “Es ist eine verblüffend simple Maschine, die sich Turing als Ersatz für den Menschen ausgedacht hat.” Maschinen ersetzen Menschen – er lässt offen, wo und für wen das der Fall ist.

Jenseits von schwachem Sinn kann man über das Verhältnis von Mathematik und Maschinenbau im Sinne von Technik nachdenken. A. Turing hat dazu – wie bewusst auch immer – auf der Seite der Mathematik einen wichtigen Beitrag geliefert. Sagen, er habe eine Maschine gebaut, kann aber nur, wer Maschinen als geistig-feinstoffliche Wesen sieht, die beispielsweise Rechnen können.

Lange vor A. Turing “gedenkt” hat, haben andere Menschen wirkliche Rechenmaschinen gebaut. Um ein berühmtes Beispiel zu nennen, C. Babbage hat eine Maschine hergestellt, die er als “analytische Maschine” bezeichnete, weil er damit Rechnen wollte. Die Maschine von C. Babbage wurde nicht aus mathematischen Gründen nie fertiggestellt, sondern weil die Herstellungstechnik, also die Werkzeuge nicht hinreichend entwickelt waren. K. Zuse, der etwa zeitgleich wie A. Turing – einfach für die andere Kriegspartei – arbeitete, hat beispielsweise eine Rechenmaschine gebaut, von der man vernünftigerweise sagen kann, dass sie in Betrieb genommen wurde.

Toolmaking animals

ich lese von Tierfreunden immer wieder mal den Verweis auf Werkzeugherstellung bei Tieren. Zum einen soll das beweisen, dass Tiere intelligent  oder uns in dieser Hinsicht evolutionär sehr verwandt sind. Zum andern soll das beweisen, dass die Menschen nicht so einzigartig sind, wie sie dies anthropozentrischerweise oft annehmen oder gar behaupten.

Ich unterscheide beispielsweise Katzen, Schlangen, Fische und Menschen als verschiedene Arten in der Fauna, die ich von der Flora unterscheide. Diese Unterscheidungen sind für mich praktisch, aber nicht wesentlich. Ich sage damit nichts über das Wesen von Katzen. In vielen Zusammenhängen verhalte ich mich verschiedenen Arten
von Lebewesen gegenüber verschieden. Und indem ich sie als Arten unterscheide, erkenne ich auch, dass sie als “animals” zusammengehören oder unter einen gemeinsamen Oberbegriff fallen.

Aristoteles, von welchem ich nicht annehme, dass er je gelebt hat, soll Menschen von anderen Tieren dadurch unterschieden haben, dass sie die einzigen ungefiederten Zweibeiner sind. Er bezeichnete dieses Abgrenzungs- oder Definitionskriterium als zufälliges, also als nicht wesentliches Kriterium, weil er meinte, damit nicht das Wesen des Menschen getroffen, sondern einfach ein beliebiges Merkmal gefunden zu haben, um Menschen nicht nur sicher von anderen Tieren unterscheiden zu können, sondern überdies auch sagen zu können, wie er es macht. Ich selbst besitze keine Sklaven und habe deshalb auch nicht das Bedürfnis zu sagen, wie ich Menschen von anderen Lebewesen unterscheide. Wie auch immer, schon Aristoteles zählte die Menschen zu den Tieren.

Mit “toolmaking animals” bezeichne ich weder eine zufällige noch eine wesentliche Charakterisierung des Menschen. Mit toolmaking bezeichne ich einen generativen Prozess, dessen Produkte Werkzeuge sind. Es spielt keine Rolle, wer die Werkzeuge produziert. Animal ist ein Platzhalter für einen Verursacher, der durch das “Making” im umgangssprachlichen Sinn hinprojiziert wird. Der Focus der Beobachtung liegt aber auf der autopoietisch gedachten Hervorbringung und Entwicklung der Werkzeuge.

Autopoiese kann man – ich glaube, dass H. Maturana das tut – auf Lebewesen beziehen, die sich in dem Sinne selbst machen, als sie nicht gemacht werden. Man kann Autopoiese aber auch – und ich tue es – als Theorie auffassen, also als Anschauungsweise, in welcher den beobachteten Gegenstände keine Macher zugeschrieben werden. Die Unterscheidung Natur/Kultur im Sinne von selbstorganisiert versus hergestellt bezieht sich dann darauf, ob ich den beobachteten Gegenstand – prinzipiell und in einem spezifischen Sinn – herstellen kann oder nicht. Als herstellen bezeichne ich das bewusste Formen von Material. Was ich herstellen kann, bezeichne ich als Artefakt.

Als tools oder Werkzeuge bezeichne ich Artefakte, die ich evolutionstheoretisch rückwärts blickend als noch nicht entwickelte Maschinen erkenne, wobei Maschinen noch nicht entwickelte Automaten sind. So wie der Mensch dem darwinistischen Evolutionstheoretiker der Schlüssel zum Verständnis des Affen ist, ist mir der Automat der Schlüssel zum Verständnis des Werkzeuges. Mit toolmaking bezeichne ich die Verwendung dieser spezifischen Perspektive. Ob und inwiefern irgendein wirkliches Wesen Werkzeuge herstellt ist dabei nicht relevant. Relevant ist die Beobachtung, die die Entwicklung der Werkzeuge als Technik beobachtet und in einer Technologie beschreibt.

Technik als soziales Funktionssystem / Technik als autopoietisches System sui generis

Nachfolgend einige Überlegungen zur gerade ablaufenden Diskussion zu “Technik als autopoietischem / autogenerativem Prozeß  / System sui generis” 

Vielleicht müßte man die Technik-als-Autopoiesis-Konzeption nochmals vom Konzept der “selbstreplizierenden Maschinen” (auch mit Blick auf “zelluläre Automaten” und “artificial life”, siehe z.B. http://www-gs.informatik.tu-cottbus.de/al_v05b.pdf) her denken:
“John von Neumann war aus Sicht der Informatik einer der ersten, der in den 1940er Jahren wissenschaftlich fundierte Überlegungen zu einem hypothetischen, replikationsfähigen Roboter anstellte. Dieses rein theoretische Konzept war praktisch jedoch nicht umsetzbar. 1953 entwickelte er daher die Theorie selbstreproduzierender Automaten (nach seinem Tod von Burks im Jahre 1966 als Theory of Self-reproducing Automata herausgegeben), als ein mit Computertechnologie umsetzbares Modell für eine softwarebasierte Lösung von Selbstreplikation.
Künstliche selbstreplizierende Software erschien zum ersten Mal in den Sechziger Jahren, und vermehrte sich in späteren Jahrzehnten sehr schnell in Form von Viren, Würmern und vor allem bei Programmen, die sich mit künstlichem Leben befassten.” [aus Wikipedia:  http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstreplikation]
Das heißt die Trias von “Tool – (einfacher) Maschine – Automat / programmierbarer Maschine” könnte erweitert durch: auto- / hetero-replikative Maschinen (Maschinen, die sich selbst und andere Maschinen erweitern bzw. herstellen können. Stichworte: artificial life, Agentensimulationen, zelluläre automaten, evolutionäre Algorithmen, Nanotechnologie). Und man könnte dann von Letzterem her versuchen, eine Art “Autopoiesis” und “Evolution” von Technik als generativem Prozeß zu beschreiben.

Ich könnte mir vorstellen, daß Technik als mögliches “autopoietisches System der Artefaktproduktion” konzipiert werden könnte auf der Basis von
1) Prozessoren als:
a) Humanprozessoren im Sinne von Polysystemen (z.B. als Bewußtsein, Psyche = Wahrnehmungsverarbeitung und diversen biologischen Systemen), wobei das aus Bielefelder Sicht einer klassischen Akteursvorstellung entspricht, die in Frage zu stellen wäre.
b) Maschinellen Prozessoren: Softwareagenten, Robotern, etc. – auch dann als selbstreplikative Maschinen
2) Handlungen: etwas [auch sich selbst] konstruieren, (zusammen)bauen, produzieren, etc.
Wenn aber nun solche Handlungen, die auf humane und nicht-humane Prozessoren bezogen werden, “simplikatorisch” sein sollten (analog zu Mitteilungshandlungen in der Kommunikation als Dimension sui generis), worin besteht dann die nicht-simplikatorische Eigenheit “technischer Operationen”? Im Fall von Kommunikation ist das die IMV-Trias, wobei bei der Fokussierung auf bloßes Mitteilungshandeln gerade das Verstehen ausgeklammert wird.
3) anfallenden Artefakten: Freilich spräche wohl nichts dagegen hier einen “erweiterten” Artefaktbegriff zu benutzen, der bspw. auch Schallwellen-Formung im Sinne der Artikulation von Lauten einschließt, weil m.E. die Differenz von Persistenz-Flüchtigkeit  keine “trennscharfe” Differenz ist, sondern auf ein “Spektrum” mit diversen Graden der Persistenz und Flüchtigkeit verweist.
4) Dabei müßte die Relation zu “sozialer Kommunikation”geklärt werden. Das ist m.E. die Ebene, auf der Du “Technologien” ansetzt (= Prozessieren von technikbezogenem Wissen, was ich u.a. als das Prozessieren von Formkomplexen im Sinne von Konstruktionsanweisungen, -zeichnungen, DIN-Normen, Stücklisten, Bauplänen, etc. bezeichnen würde).
Es wäre dann vielleicht von einer Art “Orthogonalität” (sensu: log. Unabh.) von Technik- und Sozialdimension (und Mediendimension) auszugehen. Oder um das bekannte xyz-Achsenmodell aus der Mathematik heranzuziehen: x-Achse: Soziales, y-Achse: Mediales, z-Achse: Technisches ->
a) Technische Kommunikationen, die entspr. Medien-Formkomplexe  (-> Deine Ebene der “Technologien”)  prozessieren und ein eigenes (kommunikatives) Technik-Funktionssystem bilden könnten.
b) Nicht-kommunikative, technische Herstellungsoperationen, bei der die jeweiligen Artefakte anfallen.
5) Zwischen 4a) und 4b) könnten dann Wechselbeziehungen bestehen wie:
a) Artefakte / Herstellungsoperationen irritieren technische Kommunikationen: Erstere werfen bspw. Probleme auf, die in technischen und nicht-technischen Kommunikationen (ggf. nach entspr. Transformation der Probleme) behandelt werden.
b) Artefakt-Benutzung kann Kommunikation und das Problem der Überzeugung teilweise <strong>ersetzen </strong>, z.B. indem Software-Agenten direkt miteinander etwas aushandeln – ohne menschliche Intervention.
c) Technische Kommunikationen konditionieren / orientieren via Formkomplexe ( z.B. als Baupläne, die technisch realisiert werden) Herstellungsoperationen / Artefakt-Produktionen (und die Artefakt-Benutzung),
6) Es wären dann auch Sozio-, Technik- und Medien-Evolutionen aufeinander zu beziehen – u.a. mit Blick auf die Mechanismen von “Variation, Selektion, Retention”

Fazit:
Ein soziales / kommunikatives Funktionssystem “Technik” könnte in Beziehung stehen zu einem nicht-kommunikativen System (keinem Funktionssystem) “Technik” als Artefakt-Genese. Vielleicht sollte dabei die Autopoiesis-Konzeption von M-V durch die Brille von Ansätzen des artificial life, der maschinellen Selbstreplikation, etc. gelesen werden.
Andere Option: Statt einem eigenen “Technik”-System die artefaktischen Verhältnisse als “Medium-Form-Komplexe” (-> Kausalitätsmedien) konzeptualisieren.
Ich muß wohl einige Zeit investieren, um diese ganzen Themenkomplexe [gerade auch zu artificial life, cellular automata (die sich wohl mit der LoF-Theorie koppeln lassen), Dein “Technische Intelligenz”-Buch, etc.] zu studieren, damit ich klarer sehe. Aber da ich nur ein begrenztes Zeitbudget habe, wird das wohl seine Zeit dauern.
@Rolf: Solltest Du  bereits Deine “technische Autopoiesis”-Konzeption ausgearbeitet haben, so wäre es schön, wenn Du sie demnächst online stellen könntest. Ich habe gestern zwar noch etwas in Deiner Hyperkommunikation-Bibliothek herumgestöbert, bin aber nicht so recht fündig geworden.

~Peter

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