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Tabuisierung der Technik (Forts)

Wie wird Technik tabuisiert?

Jede Tabuisierung bringt das Tabuisierte zur Sprache, aber eben so, dass nicht darüber gesprochen wird, sondern so dass Gründe gegeben werden dafür, dass nicht darüber gesprochen wird.

erläutere das Tabuisierungsverfahren anhand eines Computers, womit ich unterstelle, dass über Computer “technisch” gesprochen werden kann. Was das heisst, sage ich, indem ich die Tabuisierung beobachte.

Die Tabuisierung besteht einerseits darin, dem Computer keine Zweck, also keine Funktion zuzuordnen. Der Computer erscheint so als “universelle Maschine”, die keine spezifischen Zweck hat.

Die Tabuisierung besteht andrerseits darin, nichts über die Funktionsweise oder über die Mechanik des Computers zu sagen. Der Computer erscheint so als unglaublich komplizierte oder gar als komplexe Materie, die nur Eingeweihte und sogar die nicht ganz verstehen können.

Diese Art der Tabuisierung zeigt umgekehrt, wie über Computer und Technik zu sprechen wäre, wenn man das nicht tabuisieren wollte. Man müsste dem Computer eine Funktion zuweisen und zeigen, wie diese Funktion technisch realisiert wird, wobei ja immer verschiedene Möglichkeiten und Entwicklungsstufen gegeben sind. Im tabu-bedingten Diskurs wird genau das vermieden.

A. Turing hat die Paradoxie von der universellen Maschine in die Sprache gebracht, indem er seine Turing-Maschine als “Maschine” bezeichnete und überdies als “universell”. A. Turing hat keine Maschine hergestellt, sondern einen Formalismus geschrieben, der überdies keine Maschine, sondern einen Aspekt einer Steuerung beschreibt. Die Steuerung kann als universelle Steuerung von Maschinen aufgefasst werden, was etwas ganz anderes ist als eine universelle Maschine. Maschinen haben einen Zweck und eine universelle Maschine müsste jeden Zweck erfüllen.

Computer sehe ich als spezielle Maschinen, die ich als Geräte bezeichne. Der Zweck des Computers ist ein Eigenzustand, den ich als Symbolausgabe bezeichne. Ein Teil des Computers ist ein Ausgabegerät, ich benutze den Computer um eine gewünschte Ausgaben zu produzieren. Typischerweise ist das Ausgabegerät ein Bildschirm, auf welchem ich bestimmte Darstellungen sehen will. Im Computer wird der Bildschirm durch einen Prozessor gesteuert. Nur nebenbei: Oft wird der Computer mit dem Prozessor gleichgesetzt oder verwechselt. Mit Prozessoren kann man auch ganz andere Maschinen steuern, die deshalb aber nicht zu Computern werden.

Durch diese funktionale Bestimmung ist einerseits definiert, welche Geräte ich als Computer bezeichne, und andrerseits worin die Funktionsweise eines Computers besteht. Die Funktionsweise besteht aus der Menge, der für die Funktion relevanten Operationen. Die Funktionsweise beschreibe ich, indem ich beschreibe, welche Teile der Konstruktion sich in Abhängigkeit welcher Bedingungen wie verändern, wobei ich natürlich nur konstruktiv beabsichtigte Prozesse einbeziehe. Technisch geht es also nicht um physikalisch beschreibbare Voraussetzungen, sondern darum, wie diese in der Konstruktion aufgehoben sind. Die Physiker beschreiben andere Phänomene als die Techniker. Der Verweis auf die Physik gehört zur Tabuisierung der Technik.

 

 

Steuerung und Regelung

Differenztheoretisch kann Steuerung durch die Differenz zwischen Steuerung und Regelung gesehen werden, indem auf der Seite der Regelung das, was als Steuerung ausgegrenzt wird, wiedereintritt.

Den Ausdruck Steuerung verwende ich in zwei verschiedenen Beobachterperspektiven:

1)  Als deutender Beobachter verwende ich den Ausdruck Steuerung für eine artefaktisch-konstruktiv implizite, nicht entwickelte Form der Regelung. Ich muss genau jene Geräte steuern, die konstruktiv keine Regelung enthalten. Umgangssprachlich sage ich dann etwa: Automaten steuern sich selbst, Maschinen muss ich steuern.

Regelung beruht auf Feed back(wards), Steuerung beruht auf Feed forwards. Beim Regeln korrigiere ich die Wirkung meiner vorhergehenden Massnahme (Nach-Sicht), beim Steuern muss ich voraussehen, wie meine Massnahme wirkt (Vor-Sicht).

Die Ausdrücke “Steuerung” und “Regelung” werden im unreflektierten Alltag sehr vielfälltig und beliebig verwendet. Wo die Ausdrücke bewusst verwendet werden, wiederspiegeln sie das jeweilige technologische Verständnis sehr genau: Ich unterscheide Automaten von Werkzeugen ohne Regelung. Automaten zeigen konstruktiv, was Benutzer von Werkzeugen ohne Regelung zu leisten haben. Dabei unterscheide ich zwei Fälle der Steuerung:

a) unmittelbare Steuerung
Auf dem Motorrad steuere ich mit der Lenkstange die Auslenkung des Vorderrades und so die Fahrrichtung des Motorrades (dass die Sache mit dem re-entry etwas komplizierter ist, behandle ich später).

b) mittelbare Steuerung
Als Polizist kann ich den Verehr auf einer Kreuzung unmittelbar – also ohne technische Hilfsmittel mit meinen Händen – steuern, oder ich kann eine Verkehrssignalanlage (Rot, Gelb, Grün) installieren. Solche Anlagen können “festzeitgesteuert” (mit festgelegten Signalzeiten) sein, also beispielsweise nachts gelb blinken und tagsüber Rot- und Grünphasen zeigen. Die Steuerung besteht dann darin, dass ich die Anlage entsprechend programmiere. Die Anlage vermittelt meine Steuerung, ich muss als Polizist nicht mehr vor Ort sein. Dafür muss ich noch weiter vorhersehen, welche Einstellungen jeweils sinnvoll sind.

Das Lexirom von Meyers Lexikonverlag schreibt (wie üblich ohne erkennbare Terminologie), dass Verkehrssignalanlagen auch verkehrsabhängig gesteuert sein können; “dabei wird der Verkehr meist durch Induktionsschleifen in der Fahrbahndecke erfaßt und die Signalschaltung der Verkehrsdichte angepaßt. Ist die Verkehrssignalanlage eines Knotenpunktes mit der benachbarter Knoten zeitlich abgestimmt (›grüne Welle‹), so spricht man von koordinierter Signalsteuerung”. Wenn eine Verkehrssignalanlage verkehrsabhängig reagiert, handelt es sich – in meiner Terminologie – nicht um eine Steuerung, sondern um eine Regelung.

Wenn der Feedback zur Regelung beispielsweise durch “Induktionsschleifen in der Fahrbahndecke” gespiesen wird, muss ich als Autofahrer mit dem Auto über diesen Signalgeber fahren, was quasi zwangsläufig geschieht. An Fussgängerampeln gibt es oft einen Druckknopf, mit welchem ich das Signal auslösen muss. Von der Anlage her betrachtet, sind die Fälle identisch, die Anlage wartet auf Feedback. Als Fussgänger kann ich in meiner Handlung eine explizite Steuerung sehen.

2) Als konstruierender Beobachter verwende ich den Ausdruck Steuerung für einen bestimmten Teil der Regelung: Bei einer thermostatengeregelten Heizung bespielsweise wird die Heizung eingeschaltet, wenn vom Thermostaten das entsprechende Signal kommt. Wenn ich diesen Prozess isoliert betrachte, also davon absehe, warum der Thermostat das Signal liefert, wird die Heizung vom Themostaten gesteuert, wie wenn ich sie von Hand oder durch eine Festzeitsteuerung einschalten würde.

X) Die Vermischung der beiden Perspektiven führt zur chaotischen Verwendung der Begriffe. Ingenieure, die Anlagen wie die oben beschriebene Verkehrssignalanlage mit “Induktionsschleifen in der Fahrbahndecke” und Druckknopf-Steuerungen konstruieren, konstruieren in beiden Fällen Mechanismen, die die Ampeln “steuern”, wiewohl es sich in beiden Fällen um Regelungen handelt, weil die Anlagen situationsabhängig reagieren.

Als konstruierender Beobachter betrachte ich einen eigenständigen “Steuermechanismus” innerhalb des Automaten, der durch einen sekundären Energiekreis definiert ist. Die Steuerung eines Automaten besteht so gesehen aus einem Programm und einem Programmabtast-Mechanismus. Die Lochkarten-Mechanik von Jacquards Webstuhl ist eine Steuerung, mit welcher der Webstuhl in bestimmte (System-)Zustände versetzt wird. Die Steuerung ist der universelle Aspekt der sogenannten Turing-Maschine.

Der Steuermechanismus eines Automaten ist eine Interpretation der Benutzerintention: Das durchgedrückte Bemspedal wird durch ein ABS-System im Auto als Wunsch für effizientes Halten genommen, dh. die Räder blockieren nicht, sondern werden so gesteuert, dass sie bis zum Stillstand immer drehen.

und noch etwas Aussicht: Sollwert / Eigenwert
In der System Dynamics werden zwei Perspektiven unterschieden: Ich kann ein System mit einem Sollwert sehen, und dessen Festlegung als Steuerung betrachten, oder ich kann ein System mit einem Eigenwert sehen, der das Resultat einer Regelung ist.

Tabuisierung der Technik

Die Frage von Martin Linder war:
> wenn du ingenieurs-kulturkritik machen willst, dann sag mir, an welcher stelle etwas falsches herauskommt, wenn man nicht auf deine ebene zurückgeht. (ich kann mir schon vorstellen, dass es das gibt, mir fällt grad nur nichts ein.)

Meine Antwort lautet: Falsch ist falsch
Ich erkenne eine Tabuisierung der Technik, genau darin, dass die Funktionsweise der Hardware systematisch ausgeblendet wird. Aber ob das falsch oder richtig oder gut oder schlecht ist, ist unerheblich: nicht erhebbar.

Die Tabuisierung der Technik hat zwei selbstreferentielle Aspekte:

1) Wenn die Tabuisierung gelingt (was sie bislang tut), wird die Technik überall ausgeblendet. Beispielsweise ist Technik kein Schulfach, weil sie durch die Tabuisierung nicht wichtig erscheint, und wenn sie kein Schulfach ist, wird die Unwichtigkeit der Technik verstärkt, weil sie im schulischen Wissen nicht erscheint. Es gibt eine positive Feedbackschlaufe.

Ist das falsch? Keine Ahnung.

2) Wie die Diskurstheorie sichtbar macht, hat die Tabuisierung einen Sinn, der keineswegs intendiert sein muss. Wenn ein Thema tabuisiert wird, muss umso mehr darüber gesprochen werden. Je stärker die Tabuisierung umso grösser der Druck, darüber zu sprechen (das steht im Zentrum bei Freud und Foucalt, um Theorien zu bezeichnen). Da das naheliegende Sprechen durch das Tabu unterdrückt wird, muss ein Ersatzdiskurs entwickelt werden. Im Falle der Technik ist das unter anderem, aber sehr ausgeprägt der Medien-Diskurs.

Ist das falsch?

Bei Freud hat man gelernt, dass das Tabu zu allerlei Erkrankungen des Geistes führt, bei W. Reich hat man gelernt, dass das die bewusste Absicht der kapitalistischen Patriarchen ist, weil sie von dieser Krankheit profitieren. Bei Freud hat man gelernt, dass die mit dem Tabu verbundene Unterdrückung zu einer gesellschaftlichen wertvollen Sublimation führt.

Da könnte man sich allenfalls fragen FÜR WEN ist das falsch.

Bei Foucault hat man gelernt, dass das Tabu Kreativität erzeugt. Man muss andere Formen des Sprechens finden, weil man darüber sprechen MUSS, aber nicht DARF. Bei Foucault hat man gelernt, dass alle psychoanalytischen Problematisierungen zu kurz greifen, dass das Tabu den gesamten Diskurs als gesellschaftliches Bewusstsein betreffen. Ist das falsch?

Die Konsequenz einer Tabuisierung ist nicht abschätzbar. Die Tabuisierung ist nur beobachtbar. Und man KANN wenn man will, beobachten, WIE die Technik tabuisiert wird. Und man kann darüber sprechen und so die Tabuisierung bewusst machen,  ganz ohne zu entscheiden, welche Folgen sie haben wird.
Philosophiegeschichtlich – etwa in der negativen Dialektik zur Aufklärung – wird sugerriert, dass die Aufklärung oft ganz direkt negative Folgen habe, während die Nichtaufklärung eine Aufklärung ohne Exzesse bilde. Ist das falsch?

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