Was ist ein kybernetisches System?

System ist ein Allerweltswort. Es ist also sinnvoll jeweils zu sagen, was gemeint ist, wenn man von einem System spricht. Die Menge der Erläuterungen kann man dan durch ein Adjektiv benennen. Ein ganz bestimmtes System bezeichne ich als kybernetisches System. L. von Bertalanffy hat eine ganz andere Sache als offenes System bezeichnet und N. Luhmann hat eine wieder ganz andere Sache als funtionales System bezeichnet. Hier erläutere ich das kybernetische System.

Als kybernetische Systeme bezeichne ich Referenzobjekte von abstrakten, inhaltslosen Abbildungen, die die geregelte Veränderung einer Entität beschreiben. Wenn ich in diesem Sinne von etwas sage, es sei ein System, drücke ich aus, dass
sich dieses Objekt unter technologischen Gesichtspunkten so verhält, dass ich es mit einem Regelkreis-Schema (Feedback) sinnvoll beschreiben kann. Ein System hat also sekundäre Energiekreise, die Schalter in relativ primären Energiekreisen
steuern (Verstärker-Prinzp: Relais, Transistor usw). Die Stellungen der Schalter (System-Variable) bezeichne ich als Systemzustand. In diesem Sinne von einem System zu sprechen, macht nur Sinn, wenn beide (!) Energieflüsse genannt werden (können).

Das Standardbeispiel ist die thermostatengeregelte Heizung. Die primäre Energie ist die Wärme, die durch die Verbennung von Oel in die Heizkörper fliesst. Die sekundäre Energie ist ein elektrisches Signal, das vom Thermometer durch den
Thermostaten zum Ventil der Oelleitung fliesst. Funktional gesehen wird mit der Heizung der Sollwert der Raumtemperatur geregelt. Technisch gesehen hat der Regelkreis einen Eigenwert von einer bestimmten Temperatur, das Sollwert-Einstellgerät ist die Anzeige des Eigenwertes.

Das System ist durch die konstruktive Verknüpfung dieser beiden Energiekreise abstrakt bestimmt. Wenn der Termometer eine bestimmte Temperatur hat, fliesst ein Signal zum Oelventil und entsprechend dem Durchlass wird mehr oder wenoger geheizt, wodurch sich die Temperatur des Thermometers verändert. Diese abstrakte Systembeschreibung kann sehr verschiedene Konstruktionen wiedergeben. Aber jede Heizung muss als Artefakt materiell vorliegen, damit geheizt werden kann. Die Beschreibung heizt nicht. Damit eine Beschreibung ein – kybernetisches – System beschreibt, muss sie mindestens zwei Energiekreise beschreiben. Es gibt kybernetische Syteme mit sehr vielen Variablen und Energiekreisen.

Die Energiekreise bilden die operative Grenze des Systems. Als Operationen werden in der Kybernetik die Veränderung von Systemvariablen bezeichnet. Im Beispiel der Heizung sind die Variablen, die den Systemzustand bestimmen, die Temeratur des Thermometers und die Oeffnung des Oel-Ventils. Die Variablen und mithin der Systemzustand verändern sich in der Zeit abhängig vom jeweiligen Systemzustand. Wenn die Temeratur zu hoch ist, wird eine bestimmte Zeit später des Ventil geschlossen, worauf eine bestimmte Zeit später die Temperatur tiefer ist, worauf eine bestimmte Zeit später das Ventil geöffnet wird, usw.

Kybernetische Systeme sind das Resultat einer spezifischen Beobachtung durch die die Grenzen des Systems festgelegt werden. Kybernetisch beobachte ich das System als operational geschlossen. Ich lege fest, welche Variablen ich beobachte
und durch welche Operationen die Variablen verändert werden. Alles, was ich nicht beobachte, bezeichne ich als Umwelt des Systems. Die Umwelt interessiert mich kybernetisch nicht. Natürlich kann ich jederzeit weitere Variablen in die Beobachtung einbeziehen und so das System erweitern. Dann habe ich aber ein neues System, bei welchem wiederum die Umwelt nicht interessiert. Der Beobachter legt fest, welches System er beobachtet. Es gibt – in der Kybernetik (anders als bei anderen Systemtheorien) – kein System, das dem Beobachter sagt, was er zu beobachten hat.

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Comments

  • PB  On June 27, 2012 at 5:39 PM

    OK. Ein “kybernetisches System” entspricht der spezifischen Beobachtung von Regelkreisen.

    Das erklärt aber nicht die “Autopoiesis” von Technik als einem “System” = auto-generativen Prozeßzusammenhang. Denn wenn Technik = Netzwerk / System und Artefakte = Komponenten, dann müßten – wenn ich der MV-Logik folge – die Artefakte sich selbst und dadurch, daß Techniksystem “reproduzieren”, oder? Und zwar, ohne daß hierbei auf “externe Prozessoren” rekurriert werden muß. Die Komponenten (z.B. Zellen) selbst sind dazu in der AP-Konzeption von MV in der Lage.

    Das ist aber bei technischen Artefakten m.E. nicht der Fall (noch nicht einmal bei sog. “artificial life”-Formen oder selbstreplikativen Maschinen, denn diese prozessieren sich “nicht selbst” – wenn ich mich nicht täusche).

    Zu texten, “Es wird einfach von den externen Prozessoren (Sinnsystemen / Körpersystemen bzw. maschinellen Prozessoren) abstrahiert, weil das zur systemischen Umwelt gehört”, hilft hier nicht weiter. Denn dann muß auch von “Reproduktion” abstrahiert werden, weil ohne Prozessoren kein Prozessieren / Operieren vorliegt.

    Kürzer: Wenn kein Operator, dann keine Operation – und auch kein Operand. AP-Logik wäre freilich: Operator -> Operand -> Operator -> [mit “->” = “operieren”].

    Dazu heute abend mehr.

    • kybernetiks  On June 28, 2012 at 12:07 AM

      Es ist alles eine Frage der Logik. Und da scheinen wir uns grund-Legend zu unterscheiden. Ich meine, dass der Beobachter die Logik wählt. also dass es keine Logik gibt, die dem Beobachter sagt, was was ist.
      In meiner Logik schreibe ich jedem Prozess einen Prozessor zu, oder umgekehrt: Wo ich das nicht kann, kann ich keinen Prozess sehen.
      Also: Ich sehe, dass sich die Werkzeuge entwickeln, was ich als Entwicklungsprozess auffasse. Da ich keinen Entwickler erkennen kann, speche ich von einem autopoietischen Prozess.

      Ich glaube, Du hast meine Fragen nicht beantwortet: Worin besteht der Unterschied zu lebenden Zellen? Autopoiese sagt nur, dass ein Beobachter etwas erscheinen sieht, wofür er keinen Hersteller sieht.

      • Peter Bormann  On June 28, 2012 at 9:11 AM

        Dein RK-Beobachter tendiert mir zu sehr zu “Idiosynkrasie” und “Beliebigkeit” und suhlt sich zu sehr in seinem “eigenen” Wissenssaft. Und das reicht nicht aus.
        > In meiner Logik schreibe ich jedem Prozess einen Prozessor zu, oder umgekehrt: Wo ich das nicht kann, kann ich keinen
        > Prozess sehen.
        > Also: Ich sehe, dass sich die Werkzeuge entwickeln, was ich als Entwicklungsprozess auffasse. Da ich keinen Entwickler
        > erkennen kann, speche ich von einem autopoietischen Prozess.
        Hm, zuerst heißt es: kein Prozessor -> kein Prozeß (oder vice versa).
        Dann heißt es: kein Prozessor (Entwickler) -> AP-“Prozeß”!
        Konsequent wäre Dein Verzicht auf “Autopoiesis”, denn hier sind (wenn ich M/V nicht völlig falsch verstehe) Operator und Operand kongruent – zumindest mit Blick auf “lebende” Zellsysteme -> ein “auto-“generativer “Prozeß”.

        Gemeinhin würde man bei Technik wohl auch eher auf “Allopoiese” (entsprechend einer Input-Output-Beobachtung) verweisen.
        Standardbeispiel: Eine Autofabrik produziert etwas anderes als Autofabriken, nämlich: Fahrzeuge / Fahrzeugkomponenten ->
        keine AP, weil nicht dieselbe Komponentenart hergestellt wird und auch externe Prozessoren für die Herstellung notwendige Voraussetzung sind (Ingenieure, Tester, Fließbandarbeiter, etc.).

        Mein Fazit:
        Ohne “kybernetischen Mechanismus = wie fkt. das genau?-Erklärung” bleibt Dein AP-Konzept bzgl. Technik inhaltsarm (= eine vage Analogie). Du müßtest also Fragen beantworten wie:
        * Wie erzeugen technische Artefakte “sich selbst” (also nicht bspw. Autofabriken Autos, sondern Autofabriken andere Autofabriken) immer neu?
        * Wie referenzieren sie sich – gerade ohne jede soziale Kommunikation?
        * Wie ist überhaupt “herstellen” möglich – ohne jede soziale Kommunikation (Wissen, technische Dokumente, Modelle, etc. inkl.)?
        * Welche Artefakte sind genuin technisch? (auch Nahrungsmittel, Wohnung, Kleidung, etc.)? Und wie sieht dann die Grenzziehung aus?
        etc.

        Im Moment lese ich bei Dir nur: ich ignoriere einfach als fröhlicher RK-Beobachter alles Externe (Kommunikation, Wissen, Input-Outputs, Medien, externe Prozessoren, etc.) und wünsche mir einfach, daß das, was übrig bleibt, irgendwie mit “Technik-Autopoiesis” zu tun hat. Du kannst aber mangels kybernetischem Mechanismus nicht erklären, wie das möglich ist.

        Und daher macht so ein “Sommerprogramm” Sinn – quasi als Verschreibung einer Antisuhlung im eigenen Saft :-)

        Must go now.
        ~Peter

        • kybernetiks  On June 28, 2012 at 10:52 AM

          Peter, eine Autofabrik bringt eine Autofabrik hervor ! Dass die Autofabrik von Dir als Autoproduzent gesehen wird, zeigt einfach Deine (durchaus normale Handlungsdenkweise).

          Wie entsteht eine Autofabrik? Und wie entsteht daraus eine entwickeltere Autofabrik?
          Diese beiden Fragen sind evolutionstheoretische Fragen angesichts der Beobachtung: ich sehe eine Autofabrik, ich sehe Vorgänger-Autofabriken, ich vermute eine allererste Autofabrik – also ganz einfach simple Evolutionstheorie.

          Nur der Vollständigkeit halber ein bisschen Darwinismus: Tiere bringen Tiere hervor, aber es ist auch beobachtbar, dass Tiere scheissen, so wie Autofabriken Autos scheissen – was hier schlicht nicht interessiert.

  • kybernetiks  On June 28, 2012 at 12:41 AM

    > Das erklärt aber nicht die “Autopoiesis” von Technik als einem
    > “System” = auto-generativen Prozeßzusammenhang.

    in welcher Theorie ist ein System ein “auto-generativen Prozeßzusammenhang” und was soll das anhand eines Beispiels bedeuten?

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