Kybernetik / Todesco / Operativer Materialismus

In diesem Blog geht es um Technik, aber eigentlicher geht es darum, dass ich nicht weiss, was ich mit dem Ausdruck “Technik” bezeichne und nochmehr, dass ich meistens keinen Sinn im Ausdruck erkennen kann, wenn ich ihm irgendwo begegne. Der Blog ist also sprachkritisch gemeint. Er soll Sinnzusammenhänge öffnen, also zeigen wie der Ausdruck verwendet wird. Aber noch bevor irgendwelche Vorstellungen zu Technik im Blog stehen, wird bereits Sprache und Theorie moniert. Voraussehend (obwohl ich nicht mehr weiss, wer diese Weitsicht hatte) habe ich den Blog mit “Technologietheorien” getittelt und damit gemeint, dass zu jeder Verwendung des Ausdruckes sinnstiftende Theorien zu finden sind.

Ich bezeichne meinen Ansatz als Kybernetik und die Kybernetik als Technologie, die die Konstruktion von Maschinen thematisiert. Als Maschine bezeichne ich  – anders als viele Kybernetiker – materielle Gebilde. Nun gibt es in der Philosophiegeschichte eine idealistische Vorstellung von Materialismus, die mit einem primitiven Physikverständnis korrespondiert, in welchem Material aus Atomen und dergleichem besteht. Philosophie interessiert mich hier aber nicht, hier interessiert mich Technologie und unter dem Gesichtspunkt der Kybernetik die Konstruktion von Maschinen.

Konstruktion wird in der idealistischen Philosophie oft für ein geistiges Gebilde verwendet, für etwas “im” Kopf oder “im” Bewusstsein. Ich markiere hier aber die andere Seite  der Unterscheidung, sozusagen die Projektion. Wenn ich eine Maschine her-stelle, also sie mir nicht nur vor-stelle, beobachte ich eine Operation, die ich als Handlung oder als Tätigkeit deuten kann. Diese konstruktive Operation verwendet zwei Unterscheidungen, die ich differentiell als Form und Material bezeichne. Wenn ich ein Artefakt herstelle, muss ich Material formen. Material ist in diesem Sinne aber nicht Materie, die irgendwie vorhanden ist, sondern etwas, was sich durch die herstellende Formgebung konstituiert. Wenn ich ein Schwert oder eine Sichel schmiede, forme ich etwas, was ich als Materiel bezeichne.

“Materialismus” bezeichnet so gesehen, eine operative Sicht, in welcher bestimmte Unterscheidungen gemacht werden. Das hat nichts mit einer wirklichen Beschaffenheit einer gegeben Welt zu tun, sondern etwas damit, wie ich ich mir die Aneignung der Welt durch eine doppelte Differenz vorstelle. Ich kann um im Beispiel zu bleiben, eine Sichel sehr verschieden formen, aber ich kann sie nicht formlos machen. Und ich kann für die Sichel sehr verschiedene Materialien verwenden, aber ich kann sie nicht ohne Material herstellen.

Mit Form und Material bezeichne ich so zwei Unterscheidungen und mithin eine doppelte Entscheidung für jedes hergestellte Ding.

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Comments

  • Hanna  On February 7, 2012 at 10:08 PM

    Ist Deine Unterscheidung von Form und Material eine Weiterentwicklung von Form/Medium (siehe Luhmann)?
    Die Definition von Materialismus ist meiner Meinung nach ausbaufähig, weil ihre Spezifik bei Dir nicht ganz klar ist – jeder Begriff, den man einführt. stellt doch erst einmal eine Differenz frei, sonst wäre es keiner. Und das passiert, um etwas operabel zu machen.
    Und: historisch gesehen ist Materialismus ja auch noch anders deutbar, auch wen das hier nicht Dein Fokus ist. Vielleicht dazu dann mal mein erstes Posting.

    • Peter Bormann  On February 16, 2012 at 2:24 PM

      “Material ist in diesem Sinne aber nicht Materie, die irgendwie vorhanden ist,”
      Ich denke, daß wir alle uns einig sind, daß wir diesen M-W-Dualismus
      (mit der Unterstellung eines existenten Ausschnitts von Welt, a-medial, materiell,
      als Substrat, whatever) nicht wollen.

      ” sondern etwas, was sich durch die herstellende Formgebung konstituiert.” –
      D.h.: mit der Operation (“Herstellen”) fällt zugleich die spezifische “Form” als auch das “Material” an?

      1) ad doppelte Unterscheidung -> wird m.E. zusammengezogen wie bei “Medium / Form” auch. Nothing new.

      Wieso sollte das aber nur für “Maschinen” gelten? Wenn ich Worte produziere (im Lautmedium, dessen Lautformen wiederum auf das akustische Medium verweisen), mache ich das auch: Operation (artikulieren) -> Anfallen einer fest gekoppelten Form (z.B. Wort, Satz, Rede), das zugleich auf ein mittlaufendes Lautmedium verweist [wg. der dabei zu vollziehenden Abstraktions- und Generalisierungsleistungen hat das mit Materiellem (bspw. als materiellem Signifikanten auch nichts zu tun, kürzer: Signifikanten (und das heisst generell: Formen) können “nie” materiell “sein”].

      2) Um die Frage von Hanna aufzugreifen: worin besteht der Unterschied zwischen “Material” und “Medium”? Der Material-Begriff scheint mir bei Dir jedenfalls völlig unterbestimmt zu sein. Es reicht m.E. nicht zu schreiben: mit einer spezifischen Operation (formen, herstellen) fallen Formen und damit Material an.

      ~Peter

      • Hanna  On February 16, 2012 at 6:58 PM

        Zu Peter: “Der Material-Begriff scheint mir bei Dir jedenfalls völlig unterbestimmt zu sein.” Ich würde auch sagen, daß sich an der Begriffsbestimmung sehr viel entscheidet, und schlage vor, daß man dazu überlegen könnte, welche Extension Material/Medium haben können. Meine Intuition ist (werde darüber noch mal nachdenken), daß Material in Medium enthalten sein kann, umgekehrt aber nicht. ?.

        Dann noch eine Bemerkung zur Begriffsgeschichte – mich fasziniert wirklich sehr, wie die Frage des Materials hier diskutiert wird. Durch die hier hergestellten Bezüge wird es möglich, einen Begriff zu entwickeln, der (so scheints mir) unabhängig von der früher vorausgesetzten ontologischen Debatte ist. (siehe: Emil Du Bois-Reymond/Ignorabimus-Streit; Wilhelm Ostwald).

  • kybernetiks  On February 8, 2012 at 12:10 AM

    hmmm … ich würde nicht von WEITERentwicklung sprechen, sondern von einer anderen Differenz. Das, was anderes ist, betrifft den nicht markierten Bereiche der Unterscheidung. Ich will damit zeigen, dass die Kybernetik eine Technik vorsieht, die bei Luhmann nicht erkennbar/beobachtbar ist. Das ist hier mein Programm, das noch zu erfüllen ist ;-)
    Natürlich bin ich sehr gespannt auf alle denkbaren Materialismen. Ich werde meinen Focus jederzeit anpassen.

  • Rolf Todesco  On February 16, 2012 at 4:23 PM

    > D.h.: mit der Operation (“Herstellen”) fällt zugleich die spezifische
    > “Form” als auch das “Material” an?
    > 1) ad doppelte Unterscheidung -> wird m.E. zusammengezogen
    > wie bei “Medium / Form” auch. Nothing new.

    Herstellen führt nicht die Unterscheidung Form/Material ein, sondern 2 Unterscheidungen (oder eine doppelte Unterscheidung!):
    Ich muss beim Herstellen immer eine Form unter Formen und ein Material unter Materialien wählen.

    In der simplen Form-Geschichte wird nur die Form gewählt, das Medium ist keine Wahl, sondern der nicht markierte Teil der Form.

    > Wieso sollte das aber nur für “Maschinen” gelten?

    Das gilt nicht für Maschinen, sondern fürs Herstellen von Objekten

    > Wenn ich Worte produziere (im Lautmedium, dessen Lautformen
    > wiederum auf das akustische Medium verweisen), mache ich das auch:
    > Operation (artikulieren) -> Anfallen einer fest gekoppelten Form (z.B.
    > Wort, Satz, Rede), das zugleich auf ein mittlaufendes Lautmedium
    > verweist

    Gesprochene Worte sind Signale, sie haben keine Objektpermanenz. Deshalb bezeichnet sie Derrida als der Schrift folgend. Schreiben aber kann ich nur, indem ich Text herstelle – und das ist das Herstellen eines Objektes im genauen Sinne von geformten Material. Ich kann nicht schreiben, keine Buchstaben formen, wenn ich kein Material wähle.
    Das ist genau der Ort, wo die technizistische Perspektive die Formwahl beobachtet und die Materialwahl mit dem Ausdruck “Medium” in den blinden Fleck schiebt. Kein Mensch hat je einen Text gesehen, der nicht in einem ausgewählten Material geschrieben wurde.

    > 2) Um die Frage von Hanna aufzugreifen: worin besteht der Unterschied
    > zwischen “Material” und “Medium”? Der Material-Begriff scheint mir
    > bei Dir jedenfalls völlig unterbestimmt zu sein. Es reicht m.E. nicht zu
    > schreiben: mit einer spezifischen Operation (formen, herstellen) fallen
    > Formen und damit Material an.

    Huch das ist lustig. Ich meine, dass der Medium-Begriff als nicht markiert keinerlei eigene Bestimmung hat, sondern nur als Rückseite von Form mitläuft, während mein Material-Begriff durch die Operation “Herstellen” als eine bewusste Unterscheidung anfällt.

    Ich kann sagen, Text sei ein Form “im Medium” und dabei Medium vollständig unbestimmt lassen – oder ich kann sagen, dass Text eine Form eines Materials ist, und damit Material als Wahl des Texters, der sich beispielsweise für Tinte entschieden hat, bestimmen. (Um den Standardmissverständnis nochmals vorzubeugen: Tinte ist ein physikalisches Substrat, dass irgendwie schon da war, sondern das, was der Texter bei Herstellen von Text formt)

    • Peter Bormann  On February 16, 2012 at 4:43 PM

      Nur schnell:
      Bei der Form / Medium-Unterscheidung ist das Medium eigentlich “nicht” die “unmarkierte Aussenseite
      der Form”, denn Formen beziehen sich (wie Du auch schreibst) auf andere Formen. D.h. eine Form (z.B.
      als Signifikant) differenziert sich gegen andere Signifikanten -> Bedeutung ergäbe sich dann als eine Art flottierender Effekt in differentiellen Signifikantenkonstellationen.
      Ähnlich beim Medium: wenn Formen sich gegen Formen differenzieren, dann kann das Medium nur implizit mitlaufen. Daher auch die Rede von “Inferenzmedien”, wobei André (per Mail) anmerkte: auch Formen würden inferentiell erschlossen (und das meine ich mit Blick auf Eco / Peirce auch: d.h. Formbildungsprozesse, bspw. als Zeichenbildung, müßten vielleicht mit “Schlußfolgerungsweisen” kurzgeschlossen werden, so daß auch eine Vielzahl von Zeichen unterschieden werden können).

      Diese Materialausführungen sind übrigens schon viel besser für mich nachvollziehbar!

      ~Peter

  • AL  On February 16, 2012 at 8:03 PM

    @Hanna
    “Durch die hier hergestellten Bezüge wird es möglich, einen Begriff zu entwickeln, der (so scheints mir) unabhängig von der früher vorausgesetzten ontologischen Debatte ist. (siehe: Emil Du Bois-Reymond/Ignorabimus-Streit; Wilhelm Ostwald).”

    Stehen die genannten Namen für dich stellvertretend für eine Abhängigkeit oder für eine Unabhängigkeit von Ontologie? :)

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    […] jenseits von Maschinen behandeln als technizistisch, weil sie die Technik rein halten und sie ihrer materiellen Basis […]

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    […] Herstellen von Text verlangt wie jede Herstellung eine doppelte Entscheidung. Ich wähle die Form, also ob ich ein A oder ein B schreibe, und ich wähle das Material, also ob […]

  • […] auch immer, das Programm stelle ich als materiellen Teil der Maschine her. Welche Form das Programm hat, hängt von der Konstruktion der Steuerung ab. Aber […]

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