Technik als soziales Funktionssystem / Technik als autopoietisches System sui generis

Nachfolgend einige Überlegungen zur gerade ablaufenden Diskussion zu “Technik als autopoietischem / autogenerativem Prozeß  / System sui generis” 

Vielleicht müßte man die Technik-als-Autopoiesis-Konzeption nochmals vom Konzept der “selbstreplizierenden Maschinen” (auch mit Blick auf “zelluläre Automaten” und “artificial life”, siehe z.B. http://www-gs.informatik.tu-cottbus.de/al_v05b.pdf) her denken:
“John von Neumann war aus Sicht der Informatik einer der ersten, der in den 1940er Jahren wissenschaftlich fundierte Überlegungen zu einem hypothetischen, replikationsfähigen Roboter anstellte. Dieses rein theoretische Konzept war praktisch jedoch nicht umsetzbar. 1953 entwickelte er daher die Theorie selbstreproduzierender Automaten (nach seinem Tod von Burks im Jahre 1966 als Theory of Self-reproducing Automata herausgegeben), als ein mit Computertechnologie umsetzbares Modell für eine softwarebasierte Lösung von Selbstreplikation.
Künstliche selbstreplizierende Software erschien zum ersten Mal in den Sechziger Jahren, und vermehrte sich in späteren Jahrzehnten sehr schnell in Form von Viren, Würmern und vor allem bei Programmen, die sich mit künstlichem Leben befassten.” [aus Wikipedia:  http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstreplikation]
Das heißt die Trias von “Tool – (einfacher) Maschine – Automat / programmierbarer Maschine” könnte erweitert durch: auto- / hetero-replikative Maschinen (Maschinen, die sich selbst und andere Maschinen erweitern bzw. herstellen können. Stichworte: artificial life, Agentensimulationen, zelluläre automaten, evolutionäre Algorithmen, Nanotechnologie). Und man könnte dann von Letzterem her versuchen, eine Art “Autopoiesis” und “Evolution” von Technik als generativem Prozeß zu beschreiben.

Ich könnte mir vorstellen, daß Technik als mögliches “autopoietisches System der Artefaktproduktion” konzipiert werden könnte auf der Basis von
1) Prozessoren als:
a) Humanprozessoren im Sinne von Polysystemen (z.B. als Bewußtsein, Psyche = Wahrnehmungsverarbeitung und diversen biologischen Systemen), wobei das aus Bielefelder Sicht einer klassischen Akteursvorstellung entspricht, die in Frage zu stellen wäre.
b) Maschinellen Prozessoren: Softwareagenten, Robotern, etc. – auch dann als selbstreplikative Maschinen
2) Handlungen: etwas [auch sich selbst] konstruieren, (zusammen)bauen, produzieren, etc.
Wenn aber nun solche Handlungen, die auf humane und nicht-humane Prozessoren bezogen werden, “simplikatorisch” sein sollten (analog zu Mitteilungshandlungen in der Kommunikation als Dimension sui generis), worin besteht dann die nicht-simplikatorische Eigenheit “technischer Operationen”? Im Fall von Kommunikation ist das die IMV-Trias, wobei bei der Fokussierung auf bloßes Mitteilungshandeln gerade das Verstehen ausgeklammert wird.
3) anfallenden Artefakten: Freilich spräche wohl nichts dagegen hier einen “erweiterten” Artefaktbegriff zu benutzen, der bspw. auch Schallwellen-Formung im Sinne der Artikulation von Lauten einschließt, weil m.E. die Differenz von Persistenz-Flüchtigkeit  keine “trennscharfe” Differenz ist, sondern auf ein “Spektrum” mit diversen Graden der Persistenz und Flüchtigkeit verweist.
4) Dabei müßte die Relation zu “sozialer Kommunikation”geklärt werden. Das ist m.E. die Ebene, auf der Du “Technologien” ansetzt (= Prozessieren von technikbezogenem Wissen, was ich u.a. als das Prozessieren von Formkomplexen im Sinne von Konstruktionsanweisungen, -zeichnungen, DIN-Normen, Stücklisten, Bauplänen, etc. bezeichnen würde).
Es wäre dann vielleicht von einer Art “Orthogonalität” (sensu: log. Unabh.) von Technik- und Sozialdimension (und Mediendimension) auszugehen. Oder um das bekannte xyz-Achsenmodell aus der Mathematik heranzuziehen: x-Achse: Soziales, y-Achse: Mediales, z-Achse: Technisches ->
a) Technische Kommunikationen, die entspr. Medien-Formkomplexe  (-> Deine Ebene der “Technologien”)  prozessieren und ein eigenes (kommunikatives) Technik-Funktionssystem bilden könnten.
b) Nicht-kommunikative, technische Herstellungsoperationen, bei der die jeweiligen Artefakte anfallen.
5) Zwischen 4a) und 4b) könnten dann Wechselbeziehungen bestehen wie:
a) Artefakte / Herstellungsoperationen irritieren technische Kommunikationen: Erstere werfen bspw. Probleme auf, die in technischen und nicht-technischen Kommunikationen (ggf. nach entspr. Transformation der Probleme) behandelt werden.
b) Artefakt-Benutzung kann Kommunikation und das Problem der Überzeugung teilweise <strong>ersetzen </strong>, z.B. indem Software-Agenten direkt miteinander etwas aushandeln – ohne menschliche Intervention.
c) Technische Kommunikationen konditionieren / orientieren via Formkomplexe ( z.B. als Baupläne, die technisch realisiert werden) Herstellungsoperationen / Artefakt-Produktionen (und die Artefakt-Benutzung),
6) Es wären dann auch Sozio-, Technik- und Medien-Evolutionen aufeinander zu beziehen – u.a. mit Blick auf die Mechanismen von “Variation, Selektion, Retention”

Fazit:
Ein soziales / kommunikatives Funktionssystem “Technik” könnte in Beziehung stehen zu einem nicht-kommunikativen System (keinem Funktionssystem) “Technik” als Artefakt-Genese. Vielleicht sollte dabei die Autopoiesis-Konzeption von M-V durch die Brille von Ansätzen des artificial life, der maschinellen Selbstreplikation, etc. gelesen werden.
Andere Option: Statt einem eigenen “Technik”-System die artefaktischen Verhältnisse als “Medium-Form-Komplexe” (-> Kausalitätsmedien) konzeptualisieren.
Ich muß wohl einige Zeit investieren, um diese ganzen Themenkomplexe [gerade auch zu artificial life, cellular automata (die sich wohl mit der LoF-Theorie koppeln lassen), Dein “Technische Intelligenz”-Buch, etc.] zu studieren, damit ich klarer sehe. Aber da ich nur ein begrenztes Zeitbudget habe, wird das wohl seine Zeit dauern.
@Rolf: Solltest Du  bereits Deine “technische Autopoiesis”-Konzeption ausgearbeitet haben, so wäre es schön, wenn Du sie demnächst online stellen könntest. Ich habe gestern zwar noch etwas in Deiner Hyperkommunikation-Bibliothek herumgestöbert, bin aber nicht so recht fündig geworden.

~Peter

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Comments

  • PB  On June 17, 2012 at 2:27 PM

    Lektüretip zum Artikel:
    von Neumann, John (edited & completed by A.W.Burks), 1966, Theory of Self-Reproducing Automata, Urbana / London: Univ. of Illinois Press, online available at: http://cba.mit.edu/events/03.11.ASE/docs/VonNeumann.pdf

  • kybernetiks  On June 17, 2012 at 4:31 PM

    Peter, Du neigst einfach zu grossen umfassenden Programmentwürfen, während ich eher am Detail rumbastle. Ich habe noch nichts zu einer “technische Autopoiesis”-Konzeption. Das ist etwas, was ich erst hier erst erahne. Auch mein Buch von 1992 wird da nichts dazu sagen. Die zellulären Automaten habe ich noch nicht begriffen, mir erscheint das alles als sehr spekulative Vorstellung zur KI-Diskussion der Urzeit.
    Wir haben da noch allerlei vor uns ;-)

  • PB  On June 17, 2012 at 8:52 PM

    Nur flott:

    Hm, Rolf. Ich hatte gedacht, die “technische AP”-Konzeption hättest Du schon ausgearbeitet – immerhin stammt bspw. Dein Entwurf zum Funktionssystem “Informatik” schon aus dem Jahre 2006. Alter Junge, was hast Du in den letzten 6 Jahren nur getrieben? ;-) Nein, Spaß beiseite. OK, dann war das ein Mißverständnis meinerseits und wir müssen uns zusammen darum bemühen.

    Ad “zelluläre Automaten”:
    Es gibt da eine Verbindung zu LoF, der ich schon seit langem nachgehen wollte.
    Aktuell ist das immer noch, siehe z.B. Stephen Wolfram

    und

    Außerdem sind die Maschinen, die sich selbst herstellen ja schon da: z.B. als
    genetische Algorithmen.

    Mag ich “große Entwürfe”? Ich mag top-down- “und” bottom-up im Wechsel.

    CU
    Peter

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